Dekarbonisierung von Dampfnetzen - 5 Herausforderungen für die europäische Industrie
Die Dekarbonisierung wird in der Industriebranche von verschiedenen Faktoren vorangetrieben. Das Streben nach höherer Energieeffizienz und einer nachhaltigen Produktion stehen im Spannungsverhältnis zur langfristigen Rentabilität großer Chemiebetriebe und Raffinerien, auf Grund der kostenintensiven Investitionen zu mehr Nachhaltigkeit. Eine weitere treibende Kraft sind klimapolitische Maßnahmen wie der Net-Zero Industry Act, der Europäische Emissionshandel ETS zur CO2-Preisentwicklung oder das deutsche Energieeffizienzgesetz.
Durch die gestiegenen Erdgaspreise durch den Covid, den Ukrainekrieg und die weltweit wirtschaftlichen Folgen müssen Industrieunternehmen neue Wege finden, um die Wärmeerzeugung ihrer Anlagen noch wirtschaftlich bewerkstelligen zu können.
Gleichzeitig wandelt sich die Wärmeerzeugung weg von den klassisch stationären Betrieb hin zu einem dynamischen. Traditionell wurde der Betrieb auf maximale Effizienz ausgerichtet. Durch die Einführung erneuerbarer Energien und Elektrifizierung der Anlagenverändern sich die Netzbedingungen und führen zu neuer Variabilität.
Obwohl Dampf seit langem ein wichtiger Energieträger für die Industrie ist, wurde er bis vor kurzem als ein zweitrangiger Prozess in der Industrie betrachtet und die Dekarbonisierungsmaßnahmen wurden auf die Kernprozesse konzentriert.
Dieser Artikel befasst sich mit den 5 wichtigsten Herausforderungen, denen sich die Akteure der Branche heute auf ihrem Weg zur Dekarbonisierung und Optimierung ihrer Dampfnetze stellen müssen. Diese Herausforderungen wurden im Rahmen unserer Marktforschung 2024 identifiziert. Dazu haben wir ausführliche Interviews mit 35 führenden Industrieunternehmen aus der (Petro-)Chemie-, Raffinerie-, Papier-, Lebensmittel und Getränkeindustrie, vor allem in den Benelux- und DACH-Regionen, geführt.
Um einen tieferen Einblick in diese Herausforderungen zu erhalten und zu erfahren, wie Führungskräfte sie meistern, füllen Sie das Formular aus, um den Bericht herunterzuladen.
Herausforderung 1. Der Druck zur Dekarbonisierung steigt, während Technologie, Infrastruktur und Politik unsicher bleiben
Während die Klimaziele immer strenger werden, sind die industriellen Akteure in Europa immer noch mit regulatorischer Unsicherheit konfrontiert. Die Richtlinie über erneuerbare Energien (REDIII), die Energieeffizienz-Richtlinie und das Gaspaket sind Beispiele dafür, ebenso wie die Regierungswechsel, die die Schaffung eines stabilen Regulierungssystems verhindern.
Eine weitere Herausforderung, mit der die europäischen Industrieunternehmen auf ihrem Weg zur Dekarbonisierung konfrontiert sind, sind die steigenden Kosten für Erdgas, die durch den Ukrainekrieg noch verschärft wurden. Traditionelle Systeme wurden für den Betrieb mit fossilen Brennstoffen und die Maximierung der Effizienz konzipiert, aber geopolitische Probleme wie Handelsbeschränkungen oder Sanktionen haben zu Schwankungen bei Angebot und Nachfrage geführt. Geopolitische Konflikte haben den Bedarf an Innovationen und Anpassungen Prozesse erhöht, um das Risiko steigender Kosten für fossile Brennstoffe zu vermeiden. Dies betrifft auch die Dampfnetze innerhalb der Industrieanlagen und führen dazu, dass auch dieser energieintensive Prozess mehr unter die Lupe genommen wird.
Die Führungsetagen der Industrieunternehmen müssen die Frage der Wettbewerbsfähigkeit von einem globalen Standpunkt aus betrachten und ihre Strategien mit Blick auf die globalen Märkte entwickeln, was die Unsicherheit noch verstärken kann. "Wir befinden uns inmitten eines tiefen, langen Tals. Und es ist noch unklar, wie lange wir es durchschreiten müssen", sagte Markus Steilemann, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie in Deutschland.
In dem von Mario Draghi im Auftrag der Europäischen Kommission erstellten Bericht "The future of European competitiveness" aus dem Jahr 2024 wird betont, dass Europa der Verringerung des Innovationsrückstands gegenüber den USA und China Priorität einräumen muss. Ohne koordinierte Strategien könnte die Dekarbonisierung die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum untergraben.
:format(webp))
Kosten für Strom (links) und Gas (rechts) für die Industrie in der EU, China und den USA (€/Megawattstunde). Quelle: The future of European competitiveness report.
Gleichzeitig können sich industrielle Prozesse nicht mehr auf einen stationäre Produktionsbetrieb konzentrieren, da sich die Unternehmen von fossilen Brennstoffen verabschieden und auf erneuerbare Energien umstellen müssen. Letzteres erfordert mehr Flexibilität und eine veränderte Denkweise, die sich nicht mehr auf die Effizienz konzentriert, sondern das große Ganze im Blick hat.
Herausforderung 2. Dampf steht im Rahmen der Bemühungen um Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit zunehmend im Mittelpunkt
Bis vor Kurzem galt Dampf als ein Energieträger mit geringer Gewinnspanne, der oft an andere Unternehmen verkauft wurde oder als Nebengeschäft lief. Dampf ist jedoch zu einem wichtigen Bestandteil der Dekarbonisierung der Industrie geworden - sowohl als Emissionsquelle als auch als Bindeglied für viele Chemieanlagen. In mehreren Berichten wird Dampfproduktion als das nächste große Problem bezeichnet, das es zu bewältigen gilt. Ein Beispiel dafür ist “Decarbonizing the chemical industry” von McKinsey & Company.
Die Optimierung von Dampfprozessen bringt mehrere Herausforderungen mit sich. Änderungen der einzelnen Prozessanlagen innerhalb des Netzes wirken sich stark auf das gesamte Dampfnetz aus. Dampf spielt außerdem eine vielseitige Rolle in industriellen Prozessen, dazu gehören Herstellungsprozesse chemischer Rohstoffe oder das Erhitzen dieser Prozesse, was es schwierig macht, auf Dampf zu verzichten oder zu ersetzen.
Herausforderung 3. Dampf ist komplexes und infrastrukturkritisches Medium, und durch neue Dekarbonisierungsmaßnahmen erhöht sich die Komplexität
Dampf stellt aufgrund seiner Zweiphasigkeit komplexe Anforderungen an die Analyse und Optimierung. Hardwareverbesserungen an Dampfnetzen, wie z. B. Sensoren oder Kondensatableiter, können eine teilweise oder vollständige Betriebsunterbrechung notwendig machen, was mit erheblichen Kosten und Risiken verbunden ist. Betreiber von Industriestandorten konzentrieren sich in der Regel auf die Leistung und die Versorgungssicherheit des Systems, beispielsweise indem sie zwei Heizkessel in Bereitschaft halten, die bei Bedarf Wärme liefern können. Bei der Steuerung von Dampfnetzen und der Festlegung von Sollwerten wird traditionell mit Vorsicht vorgegangen.
Dies hat jedoch die Umsetzung von Verbesserungsinitiativen auf der Ebene der Dampfprozesse gebremst und die Optimierungspotenziale werden nicht vollständig ausgeschöpft.
Herausforderung 4. Dampfsysteme werden häufig von Teams aus verschiedenen Unternehmen, Abteilungen und Kontrollräumen verwaltet
In den letzten Jahren hatten die Industrieunternehmen mit Personalengpässen zu kämpfen, doch angesichts des bevorstehenden Wandels in der Branche wird das Problem immer kritischer. Nach Angaben von Accenture werden Chemieunternehmen bald mit Pensionierungswellen konfrontiert sein, da ca. 30 % der Beschäftigten in der Branche 50 Jahre oder älter sind und innerhalb des nächsten Jahrzehnts in den Ruhestand gehen werden.
Wenn es um die Bewältigung des Wandels geht, stehen Industrieunternehmen noch vor weiteren Herausforderungen. Große Industriebetriebe haben reichlich Erfahrung darin, regelmäßig kleine Änderungen vorzunehmen, ihre Anlagen zu aktualisieren und schrittweise an die neuesten Technologien anzupassen. Jetzt stehen sie aufgrund der angestrebten Dekarbonisierung und Flexibilisierung in naher Zukunft vor einem weitreichenden Wandel. Ein derartiger Umbruch erfordert auch ein Umdenken.
Wertschöpfungsketten von Dampfsystemen sind oft über einen Standort verstreut und betreffen mehrere Interessengruppen mit unterschiedlichen Prioritäten. Dies kann zu einem Interessenkonflikt führen, der Initiativen behindert oder blockiert, da Kosten und Nutzen nicht der gleichen Partei oder Abteilung zugutekommen. Deshalb ist es wichtig, in der gesamten Kette Anreize für die Umsetzung von Effizienz- und Nachhaltigkeitsprogrammen zu schaffen.
Herausforderung 5. Die Elektrifizierung eröffnet neue Flexibilisierungsmöglichkeiten, verlangt aber auch neue Kompetenzen
Die Industrielandschaft der Zukunft wird aller Wahrscheinlichkeit nach stark von Elektrifizierung und damit auch von Flexibilisierung geprägt sein, da sich die Strompreise ständig ändern. Viele Industrieunternehmen arbeiten bereits an hybriden Systemen, z. B. mit einem Gas- und einem Elektrokessel, der je nach Strompreis ein- und ausgeschaltet werden kann.
Elektrifizierung und Flexibilisierung werden erhebliche Veränderungen mit sich bringen, etwa eine geringere Abhängigkeit von der Grundlast und mehr variable Energiequellen. Natürlich bringen diese enormen Fortschritte auch neue Herausforderungen mit sich, beispielsweise Netzanbindungen mit ausreichender Kapazität. Hinzu kommen technologische Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Umstellung auf elektrische Energieerzeuger und die daraus resultierende Schwierigkeit einer einheitlichen Implementierung. Die Unternehmen werden auch bald vor der Entscheidung stehen, ob sie weiterhin auf Dampf setzen und dessen Erzeugung elektrifizieren oder ob sie auf dieses Medium verzichten und den gesamten Prozess vollständig elektrifizieren.
Elektrifizierung und Flexibilisierung erfordern neue Kompetenzen, z. B. im Hinblick auf den Handel an den Strommärkten oder die Gestaltung und den Betrieb von Prozessen in einer flexiblen Umgebung. All dies in einem Umfeld, in dem sich die Industrie nicht mehr auf die Sicherheit verlassen kann, die eine Grundlastversorgung mit fossilen Brennstoffen bietet.
Fazit
Die Nutzer von Dampf sehen sich wachsendem Druck ausgesetzt, die CO2-Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig die schwierige Umstellung der Wärmeerzeugung zu bewältigen. Da sich Dampf von einem Energieträger mit geringer Marge zu einer wichtigen Komponente der Dekarbonisierung entwickelt, sollten Unternehmen ihm die gebührende Aufmerksamkeit widmen.
Die Komplexität und das Tempo der Energiewende erzeugen Unsicherheiten und führen zu konkurrierenden Prioritäten bei der Vorbereitung der künftigen Dampfnetze. Eines ist jedoch sicher: Um die CO2-Emissionen zu minimieren und die betriebliche Effizienz zu verbessern, müssen die Industrieunternehmen auch die Dampfnetze in ihre Dekarbonisierungsmaßnahmen einbeziehen..
Die wichtigsten Schritte in diesem Prozess sind die Modernisierung von Steuerungs- und Designkonzepten und die Integration von digitalen Tools in die grundlegenden Abläufe. Nur digitale End-to-End-Lösungen, die das gesamte System abdecken, sind der Komplexität von Dampfnetzen gewachsen und können die Industrie auf den richtigen Weg zu einem zukunftssicheren Betrieb bringen.
Sehen Sie sich unser Webinar Full Steam Ahead: The Opportunity for Industry in Decarbonising its Steam Grids, um mehr darüber zu erfahren, wie Industrieunternehmen diese Herausforderungen heute angehen.
Wenn Sie sich eingehender mit diesen Best Practices befassen möchten, ist unser Bericht, der auf Interviews mit 35 Führungskräften aus der Industrie in ganz Europa basiert, ein guter Anfang.
